Kürzlich erzählte mir wieder einmal eine Klientin, die seit einiger Zeit auf Arbeitssuche ist, dass sie bei einem Bewerbungsgespräch in einem provokanten Ton gefragt wurde, was sie denn die letzten 2 Jahre so gemacht hätte, da sie doch nicht arbeiten würde. Und, was sie denn glaube, woran das liegen würde, dass sie keinen Job hätte.

Mir wird in letzter Zeit immer häufiger berichtet, dass arbeitssuchende Menschen sich oftmals in Bewerbungsgesprächen auf herablassende Art behandelt fühlen. Die meisten Menschen, die auf Jobsuche sind, sind das heutzutage nicht freiwillig. In Zeiten wie diesen, wo die Menschen immer besser und umfassender (aus)gebildet sind und auf eine Jobausschreibung eine immer größere Anzahl an BewerberInnen kommen, wird es zusehend schwieriger, überhaupt mal zu einem Gespräch eingeladen zu werden. Die Anforderungen sind hoch, das Angebot an KandidatInnen für die Rekrutierenden groß. Und es scheint nach wie vor gesellschaftlich ein Makel zu sein, keinen Job zu haben, das bekommen viele Betroffene in den Gesprächen gespiegelt.

Wenn ich dann mit solchen Aussagen, wie eingangs beschrieben, konfrontiert werde, frage ich mich wirklich, ob unsere Gesellschaft Arbeitslosigkeit als Makel betrachten muss. Offenbar scheinen viele Recruiter – egal ob externe BeraterInnen oder firmeninterne Entscheider – selbst noch nicht die Erfahrung gemacht zu haben, was es bedeutet in Zeiten wie diesen – vielleicht noch im Alter 35+ (denn dort fängt es bereits an, schwierig zu werden) – ohne Job zu sein. Die Glücklichen! Ich wünsche niemandem die Erfahrung, längerfristig ohne Job zu sein und mit Aussagen wie der ganz oben konfrontiert zu werden.

Ich frage mich, warum wir Arbeit als so hohes Gut bewerten. Weil es uns finanzielle Unabhängigkeit gibt? Weil wir also Angst vor der (finanziellen) Unsicherheit haben? Oder weil sich viele vor allem über ihre Arbeit definieren? Wer ist man denn dann noch, wenn man keinen Job hat, könnte man provokant fragen. Wenn man sich nicht mehr über seine Arbeit definieren kann, was bleibt dann übrig? Wer bin ich dann? Das ist ja auch etwas, was viele erleben, wenn sie in Pension gehen. Das Problem unserer Zeit und unserer Gesellschaft ist, dass wir Arbeit per se unterschiedlich bewerten. Warum ist die Arbeit mit Menschen – sei es als Lehrer, Sozialarbeiter oder Krankenschwester – weniger wert als beispielsweise die Arbeit in einer Bank? Im Ansehen und in weiterer Folge auch finanziell? Warum ist die Arbeit, die dazu beiträgt, dass wir ein sauberes, gepflegtes Straßenbild haben – wie z.B. die Tätigkeiten der Straßenkehrer oder Müllentsorger – schlechter bezahlt als die Arbeit in der Verwaltung? Sollte es nicht so sein, dass jeder nach seinen individuellen Fähigkeiten und Stärken seinen persönlichen Beitrag zum Gesamten leistet, egal in welcher Sparte und Hierarchieebene?

Für viele ist das Positive an der Arbeitslosigkeit, dass sie durch diese Zeit zu sich selbst zurück finden, nicht mehr für „alles“ zur Verfügung stehen und konkreter wissen, was sie wirklich wollen. Ich erlebe häufig, dass sich viele nach einer Tätigkeit sehnen, die sie mit Freude und Sinn erfüllt, die ihnen entspricht, bei der sie sich entfalten können. Die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens (siehe Buch: „Das bedingungslose Grundeinkommen“ von dm-Gründer Götz Werner) finde ich persönlich eine sehr gute Lösung. Ich glaube nicht, dass dann niemand mehr arbeiten will, im Gegenteil: Arbeit würde einen ganz anderen Stellenwert bekommen und jeder einzelne von uns viel mehr die Möglichkeit haben, das zu tun, was er am besten kann und tun will, weil er oder sie dann nicht mehr vor allem darüber nachdenken muss, ob er oder sie damit das Leben finanzieren kann…

Bis wir als Gesellschaft vielleicht irgendwann mal dort ankommen, dass jeder die für ihn oder sie “richtige” Arbeit machen kann, wünsche ich mir mehr Akzeptanz,Toleranz und vor allem Wertschätzung gegenüber jenen, die gerade auf Jobsuche sind. Denn es kann jederzeit ganz plötzlich jeden von uns treffen…