In einem meiner Leadership-Workshops ging es kürzlich unter anderem um das Thema Selbstverantwortung. Gegen Ende des Seminars sagte eine Teilnehmerin, dass sie froh wäre, dass andere nicht wüssten, wie es ihr ginge und wie es gerade beruflich um sie stünde. Sie meinte, es wäre bisher nur nachteilig für sie gewesen, wenn sie „sich gezeigt“ hätte. Daraufhin entstand eine interessante Diskussion darüber, warum wir Menschen denn so gerne vorgeben, „etwas zu sein“.
Für die einen bedeutet es Schutz vor Verletzungen, für die anderen Schwäche, sich so zu zeigen, wie man ist, wie man sich fühlt. Wir müssen also vorgeben, etwas zu sein, eine Fassade errichten. Unser Business-Leben bietet dafür den perfekten Rahmen: dunkle Anzüge, schicke Kostüme, teure Designerartikel, erlesene Firmenautos, die neuesten Gadgets für die mobile Kommunikation, „Connections“… wer etwas auf sich hält, etwas verkörpern und „dazugehören“ will, folgt diesen „Leitlinien“. Wir definieren uns als Gesellschaft über Aussehen, Titel, Materie und jeder Menge Oberflächlichkeiten. Wer da nicht mithalten kann, hat Pech gehabt. So einfach ist das.
Wir lassen uns gerne davon blenden, was wir sehen und hören. Was steht hinter den dunklen Anzügen, teuren Autos und Designerkostümen? Was versuchen wir darzustellen, was wir vielleicht gar nicht sind und was versuchen wir zu verbergen? Welchen Nutzen liefert uns die Fassade?
Interessanterweise gibt es immer mehr Menschen, die keine Lust mehr auf Fassade haben, allen voran die junge Generation, die sogenannte Generation Y. Die jungen Leute wollen keinem Bild entsprechen, das sie nicht sind, sich nicht in enge Korsetts und Vorgaben zwängen lassen, sondern sich so entfalten, wie sie sind. Und wir als Generation 40+ können das gut nachvollziehen,- haben nicht zuletzt viele von uns erst durch ein Burnout erkannt, welche Fassade wir jahrelang aufrecht erhalten haben. Und trotzdem fällt es uns nicht immer ganz leicht, diese neue Entwicklung, mitzutragen – „wir konnten ja schließlich auch nicht immer so, wie wir wollten…“ …
Das, was wir als Gesellschaft dringend brauchen, sind echte Werte und eine integre, individuelle Geisteshaltung. Keine oberflächlichen Worthülsen, keine Allgemeinplätze. Wenn es den gemeinsamen Wert der Individualität gibt und jeder von uns zu sich stehen kann und in seiner Individualität respektiert wird, braucht es keine Fassaden. Die Politik hat die Aufgabe, dafür Vorbild und Meinungsbildner zu sein und kommt dieser Rolle leider nicht nach. Wahrscheinlich, weil „der Schein“ und oftmals fragwürdige wirtschaftliche Verflechtungen nach wie vor wichtiger sind, wenn man bestehend will, als die eigene Integrität. Weil unser (Business-)Leben noch so funktioniert. Noch.
Werte und eine integre, persönliche Geisteshaltung werden wir in Zukunft dringend brauchen, wenn sich unsere Gesellschaft – nicht zuletzt durch die nachkommende Generation – verändern und die kollektive Ordnung dem starken Wunsch nach Eigenverantwortung und Selbstbestimmtheit Platz machen wird. Die Zeichen dafür sind schon erkennbar. Crowd-Funding, Food-Kooperativen oder viele neue Ein-Personen Unternehmen sind nur ein paar wenige Beispiele, die das wachsende Bedürfnis nach Selbstbestimmtheit in unserer Gesellschaft untermauern. Wir sind mitten in dieser Veränderung – schauen wir uns nur einfach mal um…